Herzlich willkommen am Adam-Kraft-Gymnasium

LesArt mit Mirrianne Mahn

Sie sei eigentlich keine Autorin, erklärt Mirrianne Mahn ihrem Publikum, eine Ankündigung, die die im Blauen Theater des AKG versammelte Schülerschaft der 11. Jahrgangsstufe sowie einige der Lehrkräfte des Gymnasiums verblüffen muss. Ist man nicht genau deswegen hier? Um im Rahmen der 28. Schwabacher Lesart eine junge Autorin zu hören, die gleich mit ihrem ersten Roman die Aufmerksamkeit der Literaturszene auf sich ziehen konnte? „Issa“, ihr Erstlingswerk, wurde für den Debütpreis der lit.Cologne 2024 nominiert. Wie also- keine Autorin?

Als Mirrianne Mahn aus ihrem Roman zu lesen beginnt, legen sich die Zweifel schnell. Sie hat eine sehr warme Stimme und entführt uns in eine andere Welt, in der wir ihre Titelheldin Issa auf ihrem Flug von Deutschland nach Kamerun begleiten. Issa ist schwanger, sie fühlt sich sterbenselend, über die nächsten Seiten wird ihr Zustand in allen Details beschrieben, und doch kommt kein Ekel auf, vielleicht Mitgefühl, sicher aber Neugier auf die exotische Welt, in die uns Issa führt.

Mitreißend und mit viel Humor beschreibt Mahn die ersten Schritte ihrer Heldin auf kamerunischem Boden. Wenn das nicht das Werk einer guten Autorin ist, was wäre es dann? Sie sehe sich vor allem als Aktivistin, antwortet Mahn, und man merkt, das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern ist ihr wichtig. Ob sich die SchülerInnen nie gefragt hätten, warum es so viele Menschen afrikanischer Abstammung in Deutschland gebe? Auch Deutschland habe seine Kolonialgeschichte. Dabei sei der von Deutschland 2021 als solcher anerkannte Völkermord an den Nama und Herero nur die Spitze des Eisbergs. Auch in Togo und Kamerun habe es Massaker an der einheimischen Bevölkerung gegeben. Ihr sei es wichtig, dass dieses Unrecht aufgearbeitet werde. Dass es aus der Vergessenheit herausgerissen werde. Geschichte ist hartes Brot. Geschichten dagegen…Sie liest weiter.

Die Handlung des Romans springt in die Vergangenheit. Am Schicksal von Issas Großmutter stellt  Mirrianne Mahn vor, was Kolonialismus heißt. Sie beschreibt die erschreckende Selbstverständlichkeit, mit der weiße Männer glaubten, über Leben und Körper ihrer schwarzen Bediensteten verfügen zu können. Ein junges Mädchen arbeitet auf dem Feld, als der weiße Herr es zu sich ruft. Sie weiß, was das heißt, sie hat Angst, und sie ist alleine mit ihrer Angst. Ein weiterer Zeitsprung lässt uns die Grausamkeit miterleben, mit der ein Aufstand gegen die Weißen niedergeschlagen wurde. Doch ist es nicht die Grausamkeit, die bei Mahn das letzte Wort hat, auch nicht der Vorwurf. Im Gedächtnis bleiben vor allem die Portraits starker weiblicher Persönlichkeiten, die sich innerhalb dieser Zeitläufte zu behaupten wissen. Andere werden, um sie selbst bleiben zu können.

Mahns Roman „Issa“ erzählt Geschichten, von denen viele Menschen  in Deutschland nichts wissen, einige nichts wissen wollen. Er erzählt diese Geschichten lustig, ironisch, spannend, voller Mitgefühl für seine Protagonisten. Die Leserinnen und Leser sehen in menschliche Abgründe, aber am Ende steht nicht das Unrecht.

Wie Frau Mahn denn Aktivistin geworden sei, will eine Schülerin wissen. Es habe da, antwortet die Autorin, eine Aktion gegeben in Woppenroth, dem Ort, an dem sie aufgewachsen sei. Bäume sollten gefällt werden, und sie habe sich an einen Baum angekettet. Damit habe sie das Fällen des Baumes zwei Stunden verhindern können. Für Frau Mahn reichte das, um sich als wirksam zu begreifen. Heute ist sie in der Politik tätig, im Theater, als Autorin, sie lebt ihre Träume, ihre Überzeugungen.

Was bleibt uns als Publikum von dieser Lesart übrig? Vielleicht die Freude über zwei Stunden Unterrichtsausfall, auch wenn man, wie Frau Mahn mit einem Augenzwinkern erklärte, die Schülerinnen und Schüler nur aufgrund eines adultistischen Systems zu dieser Lesung vergattern konnte. Ganz sicher die Erinnerung an einen spannenden, witzigen, manchmal verstörenden Roman. Aber am Ende steht doch nicht nur die Unterhaltung, da steht auch die Frage nach uns selbst. Wie wirksam können wir sein? Frau Mahn alleine rettete einen Baum für zwei Stunden. Wenn jeder von uns aktiv würde, was könnten wir erreichen, was retten, vielleicht sogar endgültig? Es ist eine Rechnung, die sich lohnt, trotz vieler Variablen.

Kerstin Wolf